Krafttraining – ein notwendiges Übel?

In der Laufstilanalyse und auch in der Trainingsberatung stellen wir immer wieder die Frage, ob begleitend zum Lauftraining auch Stabilisations- oder Krafttraining gemacht wird. Oft wird das verneint und oft mit einer gewissen Verlegenheit. Dass es wichtig sein kann, hat sich in der Läufergemeinde schon rumgesprochen. Aber immer wieder heisst es “ ich laufe doch genug und trainiere meine Muskeln dabei“. Das ist so aber leider ein Trugschluss. Warum das reine Laufen, bzw jede Sportart für sich, nicht als Krafttraining zum Aufbau reicht, soll hier kurz zusammengefasst erklärt werden. Der „leidige“ Hauptpunkt ist dabei wie sooft die starke Mitte.

Unsere Mitte – Dreh- und Angelpunkt für unsere Bewegungen

Unser Zentrum, unser Körperschwerpunkt, unsere Mitte liegen – wie es schon so heisst – in der Körpermitte. In Ruhe etwa am Bauchnabel oder tiefer – je nach Männlein oder Weiblein. Alle Bewegungsachsen – horizontal, vertikal oder quer – verlaufen durch diesen Punkt. Also sollte er stabil sein, damit die Achsen ebenfalls stabil verlaufen. Rund um diesen Punkt herum gibt es die Rumpfmuskulatur, Bauchmuskulatur, Beckenmuskulatur und Rückenmuskulatur. Wir können nur so stabil sein, wie es diese Muskeln sind – und nebenbei – auch nur so balanciert, wie diese Muskelgruppen sich im Gleichgewicht zueinander befinden. Die Stabile Mitte – der Core – ist in jeder Sportart von immenser Bedeutung. Jede zielgerichtete Bewegung kann nur energetisch sinnvoll und kontrolliert ablaufen, wenn der Kontrollpunkt stimmt. Oder habt Ihr schon mal versucht, mit einer laschen Bogensehne einen Pfeil abzuschiessen? Gut, der Vergleich hinkt etwas, verdeutlicht aber das Problem schön.

Muskulatur sorgt für Balance

Laufen, Schwimmen, Radfahren. Eher statische Sportarten wie Schiessen oder Golfen. Turnen. Skifahren. Sie alle benötigen ein grosses Mass an Stabilität und Balance. Und die geht nun mal von der Mitte aus. Je nach Sportart kommen dann noch spezifische Ansprüche an die Muskulatur dazu – im Laufen eher die Beine, im Schiessen das ruhige Halten von Oberkörper und Armen, im Schwimmen viel Armarbeit. Hier sind unsere Muskeln gefragt, die kräftig genug sein müssen, um die Anforderungen an sie zu erfüllen, wenn wir unseren Sport gut und verletzungsfrei ausüben möchten. Und die Muskeln trainiere ich – mit Krafttraining.

Aber warum extra Krafttraining?

Unser Körper ist bequem und liebt seine Komfortzone. Was er kann, kann er und da braucht er nicht zu lernen, zu arbeiten oder aufzubauen. „Training beginnt jenseits der Komfortzone“ – der allbekannte Spruch. Wir brauchen neue Anreize und neue Inhalte, um weiter zu kommen. Das gilt für das Lernen einer neuen Sprache genauso wie das Vorankommen im Sport. Wer sich steigern will, wer besser werden will, muss daran arbeiten. Und das gilt auch für unsere Muskulatur. So lange wir uns in unserer muskulären Komfortzone bewegen, gibt es keine Notwendigkeit, für ein Mehr zu sorgen. Der Muskel bleibt wie er ist, stark und damit stabil oder zu schwach und damit etwas zu instabil. Beide Muskeln werden bei einer langen Belastung müde, der schwächere natürlich schneller. Nachdem unsere Gelenke, der ganze Körper, aber durch die Muskulatur gestützt und bewegt wird, bedeutet ein müder Muskel ein erhöhtes Verletzungspotential.

Training - Foto: inov-8.com

Starke Muskulatur schützt vor Verletzungen

Dazu gibt es ausreichend medizinische Studien, die das belegen. Krafttraining als REHA-Sport, Krafttraining als Sturzprophylaxe im Alter – der Effekt ist vielmals bewiesen. Eine starke Muskulatur stützt und schützt den Körper. Und ebenfalls ist es klar, dass der Muskel nur kräftiger wird, wenn er den nötigen Reiz erhält. Und der heisst: lokale Erschöpfung. Um aus der Komfortzone herauszukommen, muss der betreffende Muskel deutlich erfahren, dass er die geforderte Leistung nicht erbringen konnte. Lokale Erschöpfung bedeutet, dass der Muskel seine ihm zugedachte Bewegung nicht mehr sauber vollständig ausüben kann.

Ein müder Muskel erhöht die Verletzungsgefahr

Und jetzt kommen wir zu der Antwort auf die Frage „warum ist ein extra Stabi- oder Krafttraining nötig?“. Wie oben erklärt, benötigt der Muskel zum Aufbau und zur Kräftigung als Reiz die lokale Erschöpfung. Er muss richtig, richtig müde gemacht werden. Ein müder Muskel bedeutet aber auch eine erhöhte Verletzungsgefahr. Was ist nun also mit dem Läufer, der behauptet, er trainiere seine Muskeln doch beim laufen? Abgesehen davon, dass es dann ja vor allem um die Beinmuskulatur geht und nicht die stabile Mitte. Ja, er trainiert seine Muskeln beim laufen. Er erhält die Komfortzone, den Status Quo des Muskels. Eine mehr oder wenige wohlige Ermüdung am Ende des Lauftrainings reicht nicht aus, um den nötigen Reiz zu setzen. Lokale Erschöpfung bedeutet, dass der Muskel seine ihm zugedachte Bewegung nicht mehr vollständig ausüben kann. Das kann der Läufer nicht wollen. Das heisst, zusammenbrechen, nicht mehr laufen können. Das heisst vor allem: Verletzungsgefahr!

Training - Foto: inov-8.com

Krafttraining als separates Training

Und das ist der Grund, warum das Krafttraining separat als eigenständige Einheit durchgeführt werden sollte. Unter kontrollierten Bedingungen. Ob es ein Mehrsatztraining oder Maximalkrafttraining ist oder ob Freihantel oder gerätegesteuert, das ist egal. Wichtig ist die kontrollierte saubere Bewegung und die lokale Erschöpfung. Und die notwendige Kompensationsphase oder Regeneration, damit der Muskel den neuen Reiz verarbeiten und darauf reagieren kann. Stärker und kräftiger wird. Und keiner sieht dann sofort so aus wie Arnold Schwarzenegger in seinen stärksten Jahren.

Barbara - Foto: Klaus Lang 2018

Barbara ist einer der Köpfe bei laufSinn. Hier kann sie ihre Begeisterung und Erfahrung im Sport mit ihrem Wissen als Sportmedizinerin vereinen. Lieblingsthema ist neben „klugsch***“ über Biomechanik beim Laufen ist definitiv ihr Lieblingssport SwimRun.